Stuttgart. Es ist zwar nicht Silvester, sondern 1. Advent, doch überall an den Geländern hängen Trauben von silbernen Luftballons, die von dienstbaren Geistern geschäftig an- und abgehängt werden. Mitten im Foyer lädt schon vor der Vorstellung eine lange Tafel mit Plastik-Hummer und anderem Getier zum Verweilen ein, an einer „La Fest“-Fotowand kann man Selfies zum Posten machen, und manche Besucher haben sich schon mit Kostüm-Accessoires oder Puderbäckchen à la Commedia auf die „Feier des Lebens“ eingestimmt, die Eric Gauthier in der Stuttgarter Oper angerichtet hat. Als sich Punkt 18 Uhr die Türen öffnen, strömt eine erwartungsvolle Menge ins Parkett und auf die Ränge. Auf der Bühne von Susanne Gschwender probt noch ein Orchester im Hintergrund im Musikpavillon, ein hölzerner Schwan wird hereingefahren, ein Graubär mit Rokoko-Halskrause schaut ein paar Tänzern beim Aufwärmen zu.
Dann tritt Gauthier in Aktion: Er habe sich im Beginn der Vorstellung vertan, daher noch in Alltagsklamotten, aber er könne ja schon mal einige der Sänger auf die Bühne holen, die auch noch unaufgeräumt aussieht. Natürlich Fake, jetzt beginnt der inszenierte Prolog oder 1. Akt: Einander erstmal ein bisschen kennenlernen, wie das ja bei Partys so üblich ist. Dazu animiert Eric Gauthier das Publikum zu einem Atem-Sing-Crashkurs mit dem Opernstudio-Tenor Alberto Robert, es gibt Smalltalk mit den Sängern des Haupt-Acts und Kostproben ihrer Partien, man kann auch Gebärdensprache und Sing-Along mit dem Staatsopernchor üben und darüber abstimmen, ob der Dirigent Benjamin Bayl im Frack oder Elton-John-Bluse auftreten soll.
Über 30 Musiknimmern im Party-Pasticcio
Das alles dauert fast eine Stunde, und trotz des bekannten Charmes des Kanadiers, der im Theaterhaus die Gauthier-Dance-Abende ähnlich plaudernd einleitet, freut man sich auf die Pause und bleibt immer noch neugierig auf das, was jetzt kommen soll – „La Fest“.
Es ist – so das Handlungsgerüst der „Musiktheaterkreation mit Arien, Ensembles, Chören und Tänzern“ – die imaginierte Geburtstagsparty einer alten, einsamen Frau im Rollstuhl, die beim Pedi- und Maniküren an die schönsten Feiern ihres Lebens zurückdenkt. Wenn der Vorhang aufgeht, sitzt das Staatsorchester in einer TV-Show-ähnlichen Konzertschnecke, vom blaugrün kellnermäßig ausstaffierten Chor (Kostüme: Gudrun Schretzmeier) werden umständlich Tische aufgestellt und eingedeckt.
Nach der noch holprig gespielten Ouvertüre zu einer Rameau-Oper wird die musikalische Performance – immerhin sind im barocken Continuo des 40-köpfigen Staatsorchesters Theorbe, Gambe, Harfe und Cembalo dabei – mit Vivaldi, Purcell, Broschi, Campra, Caldara und anderer griffiger, insgesamt über dreißig Musiknummern haben Gauthier und Bayl in ihrem eindreiviertelstündigen Party-Pasticcio verarbeitet. Überragend sind die sängerischen Leistungen an diesem Abend, aber nur selten sprühen auch szenisch die Funken. Diana Haller – aus ihrer Gruftie-Diva bald zur properen Hosenrolle, später zur kanariengelb gewandeten Ballkönigin verjüngt – singt ihre Arien und Duette so makellos wie Claudia Muschio die ihren. Auch Natasha Te Rupe Wilson (Sopran), Yuriy Mynenko (Countertenor), Yannis François (Bariton) und Alberto Robert brillieren in ihren virtuosen Arien, deren Texte oft barocke Leidenschaften und Emotionen zum Thema haben.
„After-Show-Lounge“ im Anschluss
Eric Gauthier gibt sich viel Mühe, Musik mit Aktionen zu verknüpfen. Ein kleines Mädchen reicht Diana Haller eine Geburtstagstorte mit sechs Kerzen, mitten im Partyrausch steigt sie aus einer riesigen Hochzeitstorte und feiert mit Partnerin. Wenigstens die Eifersuchtsgeschichte mit Muschino und François ist gefällig inszeniert und macht den beiden Singdarstellern ganz offensichtlich Spaß, aber die Partyspiele (Flüstertelefon, Flaschendrehen, Reise nach Jerusalem) sind läppisch. Das High-Werden von Drogen und Fröscheablecken steigert sich zum Rave-Abtanzen, dessen Katzenjammer mit Gewitterkrachen und Bombendonner einhergeht.
Was bei Eric Gauthiers „La Fest“ besonders überrascht, ist, dass ihm choreografisch kaum etwas einfällt. Außer einem fabelhaften Breakdancer, der für seine wirbelnden Bodenrotationen Extra-Beifall bekommt, sind die Tänzer meist Statisterie. Wenn das kleine Mädchen am Ende noch einmal mit der Geburtstagstorte, Charlie Chaplins „Smile“ singend, auftritt und den Rollstuhl hereinfährt, in dem sich Diana Haller zur Ruhe setzt, ist das ein sentimentaler Schluss. Kaum war der Jubel des Publikums (mit einigen Buhs für die Regie) verklungen, begann die „After-Show-Lounge“ mit DJ Jae auf der Bühne des leeren Opernhauses. Nur noch wenige tanzten zwischen den Stuhlreihen im Parkett.
Info:
Die nächsten Vorstellungen von „La Fest“ am 6., 16., 23., 25., 28. und 31. Dezember.