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Bürgerentscheid
Kontroverser Austausch über das geplante Mundelsheimer Großprojekt „Benzäcker“

Volle Käsberghalle: Das Gewerbegebiet bewegt die Mundelsheimer. Foto: Andreas Becker
Volle Käsberghalle: Das Gewerbegebiet bewegt die Mundelsheimer. Foto: Andreas Becker
Bürgermeister Boris Seitz im Gespräch. Foto: Andreas Becker
Bürgermeister Boris Seitz im Gespräch. Foto: Andreas Becker
Das geplante Gewerbegebiet sorgt für kontroverse Diskussionen. Foto: Andreas Becker
Das geplante Gewerbegebiet sorgt für kontroverse Diskussionen. Foto: Andreas Becker
Die Bürger informieren sich an den Schautafeln. Foto: Andreas Becker
Die Bürger informieren sich an den Schautafeln. Foto: Andreas Becker
Protest formiert sich. Foto: Andreas Becker
Protest formiert sich. Foto: Andreas Becker
Die Bürgerinnen und Bürger nutzen das Angebot, sich über das geplante Gewerbegebiet auszutauschen. Foto: Andreas Becker
Die Bürgerinnen und Bürger nutzen das Angebot, sich über das geplante Gewerbegebiet auszutauschen. Foto: Andreas Becker
Der Bürgerentscheid über das Gewerbegebiet „Benzäcker“ bewegt die Mundelsheimer. Bei einer Einwohnerversammlung am Freitagabend informiert die Gemeinde über den geplanten Gewerbe- und Innovationspark, der auf einer 20 Hektar großen Fläche an der Autobahn entstehen soll. Rund 300 Besucher sind in die Käsberghalle gekommen, um sich auf den Urnengang am 29. Mai vorzubereiten.

Mundelsheim. Bereits am späten Nachmittag haben sich an der Obsthalle Gegner des Gewerbegebiets versammelt und sind auf ihren Traktoren durch den Ort zur Käsberghalle gefahren, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. „Wachen wir endlich auf oder verbauen wir unsere Zukunft?“, ist auf einem Pappschild an einem der Schlepper zu lesen. „Es geht um unsere Existenz“, sagt Johannes Nägele, als der Demozug an der Käsberghalle eintrifft. Er ist einer der sechs Landwirte, die in den „Benzäckern“ Flächen bewirtschaften. „Boden ist nicht vermehrbar“, so Nägele. „Im Ballungsraum Stuttgart gibt es keine Ersatzflächen, jeder Quadratmeter ist entscheidend.“

Bei der Versammlung kommen beide Seiten zu Wort

Die Kommune hat die Stadtberatung Sven Fries im Vorfeld des Bürgerentscheids mit der Organisation einer Bürgerbeteiligung beauftragt. Die zunächst von Gegnern geäußerte Befürchtung, kritische Stimmen könnten zu kurz kommen, hat sich nicht bewahrheitet. Auch bei der Einwohnerversammlung legt Moderator Fries großen Wert darauf, dass beide Seiten zu Wort kommen.

Bereits eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn können sich die Besucher an Ständen von Gemeindeverwaltung, Verband Region Stuttgart (VRS) und der Bürgerinitiative „Wir für Mundelsheim“ informieren, die eine Erschließung des Gewerbegebiets unterstützen. Aber auch die Gegner, die sich in der Bürgerinitiative „Benzäcker erhalten“ zusammengeschlossen haben, sind mit eigenem Stand vertreten und werben für ihre Position. Der Austausch zum Auftakt ist als eine Art Marktplatz konzipiert. Dieses Angebot stößt auf rege Resonanz, die Bürgerbeteiligung trägt Früchte.

Befürworter und Gegner tragen ihre Argumente vor

BUND-Vertreterin Sabine Kumkar muss viele Fragen beantworten. Mit dem Beteiligungsprozess ist sie nicht unzufrieden. „Es gab einige Diskussionen, es ist Bewegung reingekommen. Das hatten wir vor drei Monaten nicht unbedingt erwartet.“ Auch Bernd Moritz von Attac Ludwigsburg-Besigheim ist mit dem Verfahren einverstanden. „Die Moderation macht das gut. Als Kritiker sind wir eingebettet und können unsere Meinung kundtun.“

Im offiziellen Programm tragen jeweils drei Befürworter und Gegner abwechselnd ihre Sichtweisen vor. Dann folgt eine Podiumsdiskussion mit neun Teilnehmern, wo es um das Für und Wider des geplanten Gewerbegebiets geht. Der Moderator wacht streng über die Uhr und die Länge der Redebeiträge.

Wirklich neue Erkenntnisse sind an diesem Abend nicht zu erwarten, die Argumente sind ausgetauscht. Bürgermeister Boris Seitz verweist auf die immense Nachfrage nach großflächigen Gewerbearealen im Großraum Stuttgart. Ihm lägen Anfragen von Unternehmen vor, die in den „Benzäckern“ in Summe mehrere Tausend Arbeitsplätze schaffen wollten – nicht in der Großlogistik, sondern in Bereichen, die zum wirtschaftlichen Transformationsprozess beitragen könnten.

Pro: Ortsnahe Arbeitsplätze und zusätzliche Gewerbesteuer

Die „Benzäcker“ seien eine einmalige Chance für Mundelsheim, meint der ehemalige Gemeinderat Bruno Freihofer („Wir für Mundelsheim“). Es entstünden ortsnahe Arbeitsplätze, die beteiligten Städte und Gemeinden des interkommunalen Gewerbegebiets könnten die zusätzliche Gewerbesteuer gut gebrauchen. Die Fläche werde ohnehin versiegelt, meint Freihofer. „Wenn nicht hier, dann außerhalb der Region.“

Die Menschen im Großraum Stuttgart legten weite Wege zu ihren Arbeitsplätzen zurück, sagt Thomas Kiwitt, Leitender Technischer Direktor beim VRS. Alleine die Mundelsheimer Pendler umrundeten auf ihrem Weg zur Arbeit im Jahr 86-mal den Erdball. „Wir verhindern den Klimaschutz, wenn wir die Arbeit nicht dahin bringen, wo die Menschen leben“, schlussfolgert der VRS-Chefplaner.

Contra: Flächenfraß auf Kosten der nachfolgenden Generationen

„Mit der fortschreitenden Flächenversiegelung entziehen wir uns die eigenen Lebensgrundlagen“, meint dagegen Gerhard Jüttner von den Naturfreunden. Und die erhofften Mehreinnahmen bei der Gewerbesteuer könnten sich als Boomerang erweisen, wie sich am Beispiel Weissach zeige – nach der Übernahme von Porsche durch den VW-Konzern ist die Gewerbesteuer der Gemeinde im Landkreis Böblingen drastisch eingebrochen.

Die Gesellschaft müsse in eine neue Richtung denken, fordert Sabine Kumkar mit Blick auf den Flächenverbrauch. Die Gegenwart müsse von der Zukunft her gedacht werden. Dieses Umdenken müsse hier und jetzt beginnen, also beim Bürgerentscheid am 29. Mai, „denn wir haben nur eine Erde“.

Sollten die „Benzäcker“ erschlossen werden, geschehe dies auf Kosten künftiger Generationen, prophezeit Bernd Moritz. Und für die Landwirte könnten keine Ausgleichsflächen in der Region angeboten werden. „Jeder will regionale Lebensmittel“, so Moritz. „In den ,Benzäckern‘ haben wir eine lokale Lebensmittelerzeugung, aber man schlägt den Landwirten die Tür vor der Nase zu.“

Bürgerentscheid ist am 29. Mai 2022

Bei der Bürgerbeteiligung haben sich auch 15 sogenannte Zufallsbürger eingebracht, die nach einem repräsentativen Verfahren ausgewählt wurden, sich bei vier Terminen mit Experten eine Meinung über das Großprojekt gebildet und nun eine Wahlempfehlung ausgesprochen haben. 13 von ihnen haben sich in geheimer Abstimmung für die Erschließung ausgesprochen, zwei dagegen. Allerdings erfolgte die breite Zustimmung unter Einschränkungen. „Wir haben gesagt, dass Ökologie und Nachhaltigkeit berücksichtigt werden müssen und fordern, dass die Ausgleichsflächen in Mundelsheim entstehen“, betont Zufallsbürger Thomas Deibler.