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Bundestagswahl
Marc Jongen von der AfD im Porträt: Auf neu-rechten Pfaden nach Berlin

Vor Andreas Hofers Geburtshaus: Die „Liebe zur Heimat“ verbinde ihn mit dem Tiroler Volkshelden, sagt Marc Jongen. Foto: privat
Vor Andreas Hofers Geburtshaus: Die „Liebe zur Heimat“ verbinde ihn mit dem Tiroler Volkshelden, sagt Marc Jongen. Foto: privat
Die „Migranteninvasion“ sei ein „Akt der Gewalt“, das „Merkel-Regime“ ziele auf die „Abschaffung der eigenen Kultur, des eigenen Volkes“ und begehe damit ein „historisches Verbrechen“. Mit Sätzen wie diesen hat Marc Jongen die AfD zum „Prüffall“ für den Verfassungsschutz gemacht. Im Gespräch mit der LKZ präsentiert er sich differenzierter, intellektueller, spricht von böswilligen Verdrehungen. Der Verfassungsschutz, sagt der Abgeordnete des Wahlkreises Neckar-Zaber, sei in der Causa AfD „von Verdachtshermeneutik getrieben“.

Kreis Ludwigsburg. Bei der Terminvereinbarung für das Onlinegespräch mit unserer Zeitung befindet sich Jongen in Südtirol, am Tag des Gesprächs ist er nach Berlin zurückgekehrt. In Südtirol ist der promovierte Philosoph aufgewachsen. Wer dort groß werde, sagt er, „ist von Kindheit an mit der Heimat verbunden“. Das Heimatgefühl der Südtiroler entspringe der Sorge „der deutschen Volksgruppe“ um ihre Identität.

Ihm selbst sei Heimat mehr ein geistiger als ein geografischer Raum, den er im Wesentlichen mit dem „deutschen Kulturraum“ identifiziere, und deshalb lange kein Thema „von besonderer Dringlichkeit“ gewesen. Doch heute sei „die Heimat, das eigene Land auf vielerlei Weise vom Verschwinden bedroht“. Fürs Porträtfoto ist Jongen deshalb nach St. Leonhard in Passeier geradelt, zum Geburtshaus Andreas Hofers. Der wird in ganz Tirol, in Österreich ebenso wie im italienischen Süden, als mythischer Freiheitsheld gefeiert. Früher, sagt Jongen, habe ihm Hofer nicht viel bedeutet. Aber als „historische Figur, die sich der Bedrohung der Heimat entgegensetzt“, sei er ihm „ans Herz gewachsen“. Nicht Hofers Militanz, aber die „Liebe zur Heimat“ passe zur AfD.

Vollkommen identisch mit der Heimat war Jongen wohl selber nie. Sein Vater ist Holländer, er selbst hatte als Kind einen niederländischen Pass und drückte beim Fußball weder Deutschland noch Italien, sondern Oranje die Daumen: „Ich habe mich immer ein wenig anders gefühlt als die anderen Kinder.“ Das hat sich nicht grundsätzlich verändert. Denn nach Deutschland ist er – nach dem Studium in Wien und kurzen Journalistenjahren in Bozen – als akademischer Arbeitsmigrant gekommen: um bei Peter Sloterdijk in Karlsruhe zunächst mit einer Dissertation über seinen Lehrer und Leopold Ziegler, einen weithin unbekannteren Vordenker der „Konservativen Revolution“, zu promovieren und seine Assistenz anzutreten.

Von Sloterdijk, der sich inzwischen mit Aplomb von seinem einstigen Musterschüler distanzierte, hat Jongen den Begriff Thymos übernommen – Zorn in der Übersetzung des Lehrers. Für Jongen meint die aus der griechischen Antike stammende Kategorie „den dritten Seelenteil neben Eros und Logos“, in dem Wut, Zorn und Stolz, aber auch „Ressentiment und giftige Regungen“ wohnen. Sie seien, sagt Jongen, das eigentliche Reich des Politischen – und reiht sich so explizit in die intellektuelle „Neue Rechte“ ein. Der Westen, sagt er, erlebe eine „Zeit des herabgestimmten Thymos. Deshalb sind wir nicht bereit, unsere Tradition, unsere Identität mit einem angemessenen Selbstbewusstsein zu verteidigen und hochzuhalten.“ Das könne dazu führen, „dass wir als Nation verschwinden werden“.

Lesen Sie hier das Porträt von Martin Hess

Der neu-rechte Feinsinn hat Jongen eine Einladung nach Schnellroda beschert, in den Thinktank des rechtsextremen Verlegers und Publizisten Götz Kubitschek.

Dort ist Jongen Seit’ an Seit’ mit Martin Sellner, dem Kopf der völkisch-aktionistischen Identitären Bewegung, und Jack Donovan, dem muskelbepackten schwulen Pin-up-Boy der Alt-Right-Szene, aufgetreten. Den Sprung des „maskulinistischen“ Amerikaners vom „thymotischen“ Diskant in die offene Gewaltapologie nennt Jongen „eine Art Bodybuilder-Philosophie“. Anlass, sich von Schnellroda-Gästen zu distanzieren, deren Positionen er nicht teile, habe er nicht gesehen. Kubitschek biete „unangepassten Geistern ein intellektuelles Forum gegen hohen Meinungsdruck von außen, dem er auf seinem Rittergut trutzt. Darin hat er meine Solidarität.“

Anders als Kubitschek, Sellner und Donovan, die sich vor allem medial inszenieren, um den Diskurs nach rechts zu verschieben, hat Jongen den Weg von neurechter „Metapolitik“ in die praktische Politik eingeschlagen. In ihr wiege das Wort schwerer als in der intellektuellen Welt, in der es wirkungslos zu verpuffen drohe. Manchmal hört ihm daher eben der Verfassungsschutz zu. Jongen, der über sein Parteivolk vor Ort Verbindung in den Wahlkreis hält, wird auf Listenplatz fünf so gut wie sicher nach Berlin zurückkehren.

Zur Person:

Alter: 53 Jahre

Wohnort: Karlsruhe

Beruf: Bundestagsabgeordneter und Dozent der Philosophie

Ämter: seit 2017 für die AfD im Bundestag, stellvertretender Landesvorsitzender der AfD, Kuratoriumsmitglied der Desiderius-Erasmus-Stiftung, Mitglied im Stiftungsrat des Humboldtforums

Interessen: Skifahren, Schwimmen, Yoga, Lesen, Theater und Oper