Geschäftsführer der AOK-Bezirksdirektion Ludwigsburg-Rems-Murr
Vor rund einem Monat fand nach Ende der Ampel-Koalition die vorgezogene Bundestagswahl statt. Der Wahlkampf war maßgeblich von den Themen Migration, der deutschen Wirtschaftskrise sowie dem Krieg in der Ukraine bestimmt. Kaum eine Rolle spielten dagegen die in den letzten Jahren massiv gestiegenen Kosten im deutschen Gesundheitswesen.
Ausmaß und Dringlichkeit ergeben sich aus den folgenden Zahlen: Die Kosten im Bereich der ambulanten ärztlichen Behandlung stiegen von 2013 bis 2023 um 47,5 Prozent, die Ausgaben für Arzneimittel um 65,6 Prozent und für die Krankenhausbehandlung um fast 45 Prozent. Das milliardenschwere Defizit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird somit in den beiden Jahren 2024 und 2025 zusammen fast so stark wachsen wie in Summe in den zehn Jahren zuvor. Allein im letzten Jahr beträgt das Minus in der GKV 6,2 Milliarden Euro – trotz bereits stark angepasster Beitragssätze.
Die Gründe dafür liegen im demografischen Wandel, medizinischen Fortschritt und ineffizienten Strukturen. Hinzu kommen teure Reformen der Politik und tiefe Eingriffe in die Rücklagen solide haushaltender Krankenkassen. Währenddessen bleiben die Einnahmen aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage immer weiter hinter den Ausgaben zurück. Die alarmierende Erkenntnis lautet: Wir stehen in der Kranken- und Pflegeversicherung vor ganz erheblichen Herausforderungen!
Die AOK fordert von der neuen Regierung ein entschlossenes Eingreifen statt wie in den vergangenen Jahren schlichtweg nur in Kauf zu nehmen, dass den Versicherten und Arbeitgebern immer noch höhere Beiträge zugemutet werden. Dazu bedarf es weitreichender Reformen für ein effizienteres Gesundheitswesen sowie vor allem eine verlässliche, stabile und nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.
Hier nur einige aus unserer Sicht wichtige Ansätze:
•Der Staat muss der Verantwortung für seine Aufgaben nachkommen. Dazu gehört eine auskömmliche Finanzierung der Beiträge für Bürgergeldempfangende, die aktuell um über zehn Milliarden Euro zu gering ausfällt.
•Gleiches gilt für die bereits beschlossene Krankenhausreform. Die Transformation der Kliniklandschaft soll demnach zur Hälfte aus dem Gesundheitsfonds der GKV finanziert werden und deren Beitragszahlenden über zehn Jahre lang mit 2,5 Milliarden Euro jährlich belasten. Die Umstrukturierung ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und aus Steuermitteln zu finanzieren.
•Effizienzpotenziale bei gleichzeitiger Verbesserung der Versorgungsqualität wie zum Beispiel durch die Digitalisierung nutzen. Bei der ambulanten Versorgung sollte die Hausarztpraxis stets die erste Anlaufstelle sein und die Behandlung koordinieren. Vielfach unnötige Doppeluntersuchungen lassen sich so vermeiden.
•Eine wirkungsvolle Maßnahme wäre zudem die Reduzierung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent – wie übrigens in nahezu allen europäischen Ländern.
•Bewährte Präventionsmaßnahmen erweitern statt sie zurückzufahren.
•Bei der Pflegeversicherung sind ständige kleinteilige, kurzfristig gedachte Reformen nicht zielführend. Hier bedarf es einer umfassenden, langfristig ausgerichteter Struktur- und Finanzreform. Dabei müssen die Kosten zwingend auf vielen Schultern verteilt werden.
Ich bin gespannt, welche Lösungen die neue Regierung für diese herausfordernde Situation findet, und wünsche mir beherztes Handeln sowie Mut zu den nötigen Reformen.


