Stuttgart. Im Stuttgarter Landtag herrscht Streit – und zwar nicht nur im Plenarsaal, wo sich die Abgeordneten regelmäßig Wortgefechte liefern, sondern auch eine Etage tiefer. Ein unterirdischer Gang sorgt für Diskussionen, genauer gesagt die Frage, wer Zugang zu diesem Tunnel hat. Was nach einer Parlamentsposse klingt, berührt erneut den heiklen Umgang mit der AfD. Nun muss sich das höchste Gericht des Landes mit dem Tunnel befassen.
Warum wird überhaupt über einen Tunnel gestritten?
Auf den ersten Blick wirkt der Anlass banal: Ein Verbindungstunnel zwischen dem Landtag und dem benachbarten Haus der Abgeordneten sorgt seit Jahren für kurze Wege und trockene Schuhe der Parlamentarier. Doch die AfD-Fraktion darf den unterirdischen Verbindungsgang seit geraumer Zeit nur noch in Ausnahmefällen nutzen. Ihnen ist der Durchgang aber so wichtig, dass sie vor dem Verfassungsgerichtshof klagten. Nun wurde mündlich verhandelt. Es geht um Gleichbehandlung, Sicherheit und den Umgang mit der AfD.
Was ist das für ein Tunnel genau?
Zur Orientierung: Im Landtagsgebäude nahe Oper und Schlossplatz finden die Plenarsitzungen statt. In mehreren Gebäuden ringsum haben Abgeordnete und Fraktionsmitarbeiter ihre Büros. CDU und Grüne sind im sogenannten Haus der Abgeordneten untergebracht, wo sich auch die Landtagsbibliothek befindet – für einige ein wichtiger Arbeitsort. Die AfD-Fraktion sitzt in einem Gebäude in der Urbanstraße, gleich in der Nähe.
Um zu ihren Büros oder zur Bibliothek zu gelangen, müssen die Parlamentarier die mehrspurige Konrad-Adenauer-Straße queren. Alternativ können sie den 136 Meter langen, unterirdischen Landtagstunnel nutzen – eine direkte Verbindung zwischen dem Landtag und dem Haus der Abgeordneten. Am Eingang des Landtagsgebäudes und des Hauses der Abgeordneten wachen Pförtner darüber, wer hineinkommt und wer nicht. Am Tunneleingang ist dies nicht der Fall.
Der Zugang zum Tunnel erfolgt über gesicherte Glastüren, die sich mit elektronischem Schlüssel öffnen lassen. Auch wenn die AfD nicht im Haus der Abgeordneten sitzt, nutzten ihre Mitglieder den Tunnel häufig, um schneller zu ihren Büros in der Urbanstraße zu gelangen.
Warum darf die AfD den Tunnel heute nicht mehr nutzen?
Im Juni 2023 verschärfte das Landtagspräsidium die Sicherheitsvorgaben. Seitdem gilt: Zutritt zu den Gebäuden des Landtags haben nur Personen, die dort auch ein Büro besitzen, wie die Pressestelle mitteilt. Durch den Tunnel darf also nur, wer im Haus der Abgeordneten arbeitet – für die AfD gilt das nicht. Anlass war ein Vorfall um einen AfD-Abgeordneten, in dessen Büro ein Jagdmesser und Munition gefunden worden waren. Zwar wurden die Ermittlungen eingestellt, das Tunnelverbot blieb jedoch bestehen. Die Landtagsverwaltung stellt klar, dass es sich um eine Regel für alle handle.
Wer darf den Tunnel jetzt überhaupt noch benutzen?
Nur Abgeordnete und Mitarbeiter mit Büros im Haus der Abgeordneten – also CDU und Grüne. Selbst Mitarbeiter der Landtagsverwaltung dürfen den Gang nicht mehr nutzen. SPD und FDP dürfen ebenfalls nicht - die sind aber kaum betroffen, da ihre Büros ohnehin in einem anderen Gebäude am Schlossplatz liegen. So richtig stört sich daran nur die AfD.
Was sagt die AfD zu dem Verbot?
Die AfD bezeichnet die Regelung als «reine Willkür» und vermutet politische Motive, um ihre Fraktion auszuschließen. Auch an anderer Stelle, etwa bei der Besetzung von Ausschüssen, fühlt die AfD sich benachteiligt. Abgeordnete müssten sich im Parlamentsviertel frei bewegen können, sagt Fraktionschef Anton Baron. Für die AfD-Politiker sei es nicht nur umständlicher, sich überirdisch zwischen den Gebäuden zu bewegen, sondern auch gefährlicher: Vor Gericht berichtete die AfD-Seite von Drohbriefen und Farbanschlägen.
Gab es Versuche, den Streit zu lösen?
Ja: Das Landtagspräsidium bot der AfD vor rund einem Jahr einen Kompromiss an: Sie dürfe an Plenartagen den Tunnel nutzen – allerdings nur in Richtung Landtag, nicht zurück, die sogenannte «Einbahnstraßenlösung». Die AfD-Fraktion möchte sich damit nicht zufriedengeben. Sie will den vollen Tunnelzugang - und ihn über das Gericht erzwingen. Sie hat Klage eingereicht, um prüfen zu lassen, ob das Tunnelverbot ihr freies Mandat einschränkt.
Was passiert jetzt?
Der Fall wurde mündlich verhandelt – bislang ist aber nicht geklärt, ob die Klage wegen einer abgelaufenen Frist überhaupt zulässig ist. Die Frage ist auch, inwieweit das Tunnelverbot wirklich die Arbeit der AfD-Abgeordneten einschränkt. Es gebe kein «Recht auf Bequemlichkeit», führt der Anwalt des Landtags an. Auch normalen Bürgern werde zugemutet, über die Straße zu gehen. Ein Verfassungsrichter merkte an, dass es keine drei Minuten dauere, überirdisch zum Landtag zu laufen - «mit gemächlichem Schritt». Der AfD geht es auch ums Prinzip - und um Gleichbehandlung.
Ein Urteil soll erst gegen Ende des Jahres oder im Januar fallen.
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